Ihr Warenkorb

Schnappschuss: Bewegung des Fotomotivs – eine Option für Kreativität von Klaus Hellmich

Lesezeit: 10 Minuten - 24. November 2020 - von Klaus Hellmich

Viele von euch werden das kennen: Man fängt mit der schönsten Nebensache der Welt - dem Fotografieren - an, und ist zunächst mit den üppig vorhandenen Einstellparametern beschäftigt, vielleicht auch überfordert. Man begreift irgendwann die Blende, die Verschlusszeit, die ISO-Einstellungen und deren wechselseitiges Zusammenspiel. Weitere Größen wie Weißabgleich, Belichtungsmessung, Fokusmessfeld und AF-Betriebsarten sind nicht mehr Feind, sondern fast schon unser Freund. Und meist geht es auch dann erst mit der wirklich kreativen Fotografie los, weil unser Gehirn dafür plötzlich Freiräume und  Rechenleistung besitzt, da über die  vorherigen Einstellungen und Parameter nicht mehr andauernd nachgedacht wird, sondern diese Abläufe automatisch im Hintergrund passieren. Auf die Frage, was denn ein oft benutztes bildgestalterisches Stilmittel in vielen Genres der Fotografie ist, hört man meist zuerst die Begriffe DoF, also Depth of Field, zu Deutsch die Freistellung oder auch die Schärfeabnahme vom Fokuspunkt in beide Richtungen. Diese hängt von mehreren Faktoren ab. Ein Faktor ist die Blendeneinstellung. Diese bildgestalterische Option nutze ich gerne und viel. Jetzt kommt das Aber. In meiner fotografischen Entwicklung entdeckte ich für mich erst später, dass es eine weitere Einstellgröße in der Fotografie gibt, die man aus bildgestalterischen Gesichtspunkten auf keinen Fall in die zweite Reihe stellen sollte: die Belichtungs- oder Verschlusszeit. Und hier, liebe Leserinnen und Leser, schließt sich der Kreis zu dem Thema des aktuellen Schnappschusses: Bewegung.

Bild 1: f 9, 1/400, ISO 100, 270mm

Option 1: Motive einfrieren

Fangen wir mit dem vielleicht häufigsten Anwendungsfall an: Ich habe ein Motiv, das sich sehr schnell bewegt, möchte es aber dennoch gerne scharf auf meinem Foto abbilden. Bei Bild 1 von einer tieffliegenden F-18 Hornet im Rainbow- oder „ Jedi“-Canyon, unweit des Death Valleys benutzte ich das Programm S (TV) an meiner Nikon, also eine Halbautomatik, die den Benutzer die Belichtungszeit vorwählen lässt, die Blendeneinstellung aber automatisiert einstellt. Der Autofokusmodus war AF-C, und ich nutzte eine kleine Fokusmessfeldgruppe. Bei der ISO-Einstellung bemühte ich die Automatik, da ich dieses Motiv in keinster Weise kontrollieren konnte, es wäre bei dem Timeslot des Vorbeiflugs von vielleicht vier Sekunden keine Zeit gewesen, alle Parameter – insbesondere ISO – manuell korrekt einzustellen. Zugegebenermaßen ist die gewählte Belichtungszeit von 1/400 sehr optimistisch, hat in diesem Fall aber geklappt. Wie kurz man tatsächlich belichten muss, um Bewegung einzufrieren, liegt immer an der Geschwindigkeit und der Bewegungsrichtung des Motivs. Bewegungen von Bildrand zu Bildrand erfordern nach meiner Erfahrung kürzere Belichtungszeiten als ein Motiv, das sich auf die Kamera zu bewegt. Aber um ehrlich zu sein: Bei vielen bewegten Motiven muss man sich an die korrekte Belichtungszeit herantasten. Experimentiert und korrigiert gegebenenfalls eure Einstellung, wenn das Bildergebnis für euch nicht zufriedenstellend ist. In dieser Flyby-Situation hatte ich Glück, da die freche Einstellung erfolgreich war. Ich konnte schließlich nie voraussehen, wann der nächste Flieger wie schnell durch den Canyon jagte und ich die nächste Trial-and-Error-Chance bekommen hätte.

Bild 2: f5,6, 1/320, ISO 100, 400mm

Bei diesem Foto (Bild2) ging es im Speziellen darum, neben den anmutigen Seelöwen die Bewegung der Brandung der Steilküste in La Jolla, San Diego einzufangen bzw. einzufrieren. Nach einigen Versuchen reichte eine 1/320 gerade so aus. Kürzer wollte ich nicht belichten, weil ich den ISO-Wert auf 100 halten wollte, die Blende jedoch objektivbauartbedingt nicht weiter öffnen konnte. Da hier der Faktor Zeit keine Rolle spielte (die Seelöwen sowie der Pazifik machten keine Anstalten, sich zu entfernen), fotografierte ich in der Betriebsart M und wählte alle Parameter manuell aus.

Dies bringt mich zu einem weiteren Punkt: dem Portfolio. Ich wurde tatsächlich während meines ganzen professionellen Werdegangs noch nie nach meinem Abschlusszeugnis oder Abschluss-projekt gefragt. Es zählt immer das letzte bzw. die letzten Projekte. So ist es für mich von höchster Bedeutung, Projekte vorweisen zu können, mit de-nen ich zufrieden bin und hinter denen ich auch wirklich stehe. Das ist nicht immer einfach. Gerade zu Beginn meiner Karriere hat mich mein Perfek-tionismus oft von innen zerfressen. Ich empfand keines meiner Projekte als gut genug, um sie Teil meiner Website werden zu lassen. Als Freelancer kann man sich leider nicht auf einem drei Jahre alten Projekt ausruhen, man muss sich ständig an neue Projekte wagen, um ein aktuelles Portfolio aufweisen zu können.

Langzeitbelichtung in der Landschaftsfotografie

Ein weiterer Anwendungsfall, den ich persönlich besonders faszinierend finde, ist, die Bewegung des Motivs über einen längeren Zeitraum in einem einzigen Lichtbild festzuhalten. Dabei entstehen Abbildungen, die das menschliche Auge so niemals wahrnehmen könnte. All das, was in einem vordefinierten Zeitraum vor der Kamera passiert, wird in einem einzigen Bild dargestellt. Besonders wirkungsvoll ist dieses Stilmittel, wenn sich nicht alles im Bild bewegt, sondern Teile unbewegt sind.

Abhängig von den Lichtverhältnissen und der Bewegungsgeschwindigkeit des Motivs reichen die kameraeigenen Lichtsteuerelemente oft nicht mehr aus, um solche speziellen langen Belichtungszeiten von 20 Sekunden und mehr zu realisieren. Hier kommt ein relativ einfaches und günstiges Zubehörteil in der Fotografie zum Einsatz: der Graufilter. Ohne hier in die Tiefe gehen zu wollen, kann man vereinfacht sagen: Ein Graufilter ist eine „Sonnenbrille“ für die Kamera und minimiert das einfallende Licht um eine gewünschte Stufe. Um das fehlende Licht zu kompensieren und technisch korrekt zu belichten, erzwingt man von der Kamera längere Belichtungszeiten. All das, was vor der Kamera in dieser langen Belichtungszeit passiert, wird dann auf ein einziges Bild gebannt. Wichtig ist dabei, ein Stativ einzusetzen und die Kamera per Selbst- oder Fernauslöser auszulösen. Das normale Drücken des Auslösers könnte zu Verwacklungen im Bild führen, wenn man so lange belichtet

Bild 3: f8, 2 Sek, ISO 100, 70mm

Bei mir hat sich eine Vorliebe bei der Reise- und Landschaftsfotografie eingeschlichen ist das Element Wasser Bestandteil des Motivs. Im Speziellen bei bewegtem Wasser mag ich es sehr, die Wasseroberfläche mittels Langzeitbelichtung „glattzubügeln“ wie in Bild 2. Um auf die 30 Sekunden Belichtungszeit zu kommen, brauchte ich in diesem Anwendungsfall einen Graufilter. Je länger die Belichtung und je ruhiger das Wasser an sich ist, desto „glatter“ und „spiegelnder“ wird dabei die Oberfläche des Wassers auf dem Foto dargestellt. In diesem Bild sind die Berge und das Eilean Donan Castle der feste unbewegte Bildbestandteil. Gerade beim Element Wasser kann es in der Fotografie spannend sein „kürzer lang“ zu belichten. Bleibt man dabei im Bereich um 2 Sekunden, schafft man es gerade bei den Gezeiten, die Dynamik des abfließenden Wassers darzustellen, wie bei Bild 3.

Bild 4: f 13, 30 Sek, ISO 100, 24mm

Dann gibt es noch die Motive in der Langzeitbelichtung, bei denen es wegen der Lichtverhältnis-se keiner technischen Tricks und keinen doppelten Bodens bedarf. Bei der Nachtfotografie, wie in Bild 4, ist es sowieso schon so dunkel, dass man oft locker 30 Sekunden Belichtungszeit erreicht, ohne einen Graufilter zu bemühen. dunkel, dass man oftmals locker 30 Sekunden Belichtungszeit erreicht, ohne einen Graufilter zu bemühen.  Warum ausgerechnet 30 Sekunden? Zum Einen ist das ein Wert, der sich bei den meisten Kameras noch ohne externen Intervallauslöser im Kameramenü einstellen lässt, zum Anderen ein guter Kompromiss zwischen Bildgestaltungsergebnis und Wartezeit vor Ort auf das finale Produkt. Man darf nicht vergessen, wieviel Zeit verstreichen kann, tastet man sich an die optimalen Belichtungseinstellungen bei der Langzeitfotografie heran und nutzt dabei fortlaufend Verschlusszeiten von 30 Sekunden oder mehr pro Aufnahme. Dann ist die goldene und/oder blaue Stunde schon mal gerne vorbei, und man kann nur noch mit gesenktem Haupt und wenig vorzeigbaren Bildern nach Hause marschieren.

Bild 5: f9, 15 sec, ISO 100, 24mm
Bild 6: f18, 9 Sek, ISO100, 135mm

Diese beiden Fotos (Bild 5 und Bild 6) wurden ohne Graufilter realisiert. Vor der Skyline von LA Downtown machen sich die klassischen Autolichtspuren, sogenannte Lighttrails, natürlich besonders gut. Auch hier haben wir wieder ein bewegtes und ein unbewegtes Element im Foto. Landschaftsfotos wirken um einiges dramatischer, hat man nicht den puristischen hochgelobten blauen Himmel. Viel besser ist es, Wolken zu haben, die sich bewegen. Je schneller, desto größer der „Blur“-Effekt in der Langzeitbelichtung, wie hier im Monument Valley.

Bild 7: f4, 1/30, ISO 100, 24mm

Bewegung und Portraitfotografie?!

Aber man kann sich das Element der Bewegung nicht nur in der Landschaftsfotografie, sondern auch kreativ in der Portraitfotografie zunutze machen. In Bild 7 ist das feste Element das Brautpaar, das bewegte Element der Hintergrund.

Falls man einen Moment über die technische Umsetzung nachdenken muss, hat ein Bild – wie ich finde – schon viel erreicht: Der Betrachter setzt sich mit dem Machwerk auseinander. Auf Bild 7 sitzt der Fotograf mit dem Paar auf einem sich drehenden Kinderkarussell auf einem Spielplatz. Weil er sich exakt so schnell wie das sich drehende Paar bewegt, verwischt der Hintergrund aufgrund der eingestellten Belichtungszeit an der Kamera.

Bild 8: f1,4, 0,6s, ISO 100, 35mm

In diesem Bild (Bild 8) ging es darum, die Dynamik des „Flexens“ oder -besser hochdeutsch ausgedrückt- des Trennschleifens darzustellen. Hätte man hier einfach nur kurz belichtet, z.B. eine 1/200, um das Foto nicht zu verwackeln, wäre der Funkenflug vermutlich eingefroren. Durch die längere Belichtungszeit wird das Bild sicherlich spannender, und der Dynamikprozess des abgebildeten Arbeitsvorgangs wird plastischer dargestellt. Hier war fotografisch die Herausforderung, weder zu kurz (Funkenflug soll Linien ziehen) noch zu lang (Bewegungsunschärfe beim Model) zu belichten. Die Trennschleiferin ist aber dennoch minimal bewegungsunscharf, was meiner Meinung nach noch vertretbar ist.

Spannend kann es auch sein, die Bewegung von Menschen oder Personen durch eine längere Belichtungszeit bewusst unscharf darzustellen, wie in Bild 6. Diesen Effekt bezeichnet man als Ghosting.  Man  kann die Bewegung der Menschen, die die Straße überqueren, erkennen. Keine der Personen ist bewusst scharf abgebildet (außer den stehenden Personen). Ghosting funktioniert immer besser, wenn sich das Motiv – also hier die Menschen – kontrastreich vom Hintergrund abhebt.

Bewegung durch Mitzieher

Technisch gesehen sind für mich die sogenannten Mitzieher das schwierigste Stilmittel im Umgang mit Bewegung im Bild. Ich möchte euch ermutigen, falls ihr diese Technik noch nicht probiert habt, euch einfach mal ranzutrauen. Und bitte nicht entmutigen lassen. Auch wenn man Mitzieher schon zigmal gemacht hat, der Ausschuss dabei ist immens hoch. Aber was genau verbirgt sich eigentlich hinter dem Kunstwort Mitzieher? Der Fotograf versucht, die Kamera exakt gleich schnell mit dem ihn passierenden Motiv mit zubewegen. Bei entsprechender Belichtungseinstellung sollte dann das Motiv größtenteils scharf und der Hintergrund verwischt sein. Soviel zur Theorie. Praktisch ist für mich die größte Herausforderung, die Kamera wirklich parallel zum bewegten Motiv zu bewegen und keine horizontalen Schwenker einzubauen. Auch hier ist Rantasten gefragt. Wichtig ist, dass ihr dabei die Belichtungszeit definiert – egal, ob im Modus M oder S (TV) an eurer Kamera.

Bild 9: f 5.6, 1/40, ISO 100, 50mm

Ich versuche immer zu schätzen, wie schnell das Motiv sich in etwa bewegt, und stelle als Ersteinstellung bei Mitziehern den Kehrwert der gefahrenen Geschwindigkeit ein. Um es konkret zu machen: Die Dame in Bild 9 radelte mit 20 bis 25 km/h an mir vorbei nachdem ich sie mehrfach lautstark bis zur Ansatzheiserkeit angefeuert hatte, Gas zu geben. Demnach startete ich mit einer Belichtungszeit von 1/25. Das Gemeine an der Geschichte: je länger die Belichtungszeit, desto stärker der gewünschte Verwischeffekt, aber eben auch die Gefahr, das Bild zu verwackeln.

Nach meiner Erfahrung eignen sich für Mitzieher eher kürzere Brennweiten, ich arbeite gerne mit 35 oder 50 mm gerechnet am Kleinbildäquivalent. Ansonsten AF–C (AI Servo), Einzelfeldfokus oder kleine Fokusgruppe geschaltet, und ab geht die Post. Das Ganze geht natürlich nicht nur bei fahrenden Damen auf Rädern, sondern bei allem, was sich gleichmäßig durchs Bild bewegt, z.B. Autos, Motorräder, Züge, etc.

Ihr seht also, gerade Bewegung im Bild, die vielleicht erst einmal als Gegner der „scharfen“ Fotografie empfunden wird, bietet euch umfangreiche Ansätze, diese kreativ zu nutzen. Ich hoffe, dass ich euch mit diesen Zeilen und Bildern ein wenig auf den Geschmack bringen konnte, mit der Variablen der Bewegung in Fotos bewusst kreativ zu arbeiten.

Falls noch Fragen offen sind, könnt ihr mich gerne kontaktieren. Und jetzt seid ihr dran … •

----

Weitere Infos und mehr Werke des Künstlers:
Klaus Hellmich
www.lichtbildidealisten.de
info@lichtbildidealisten.de
Instagram: @lichtbildidealisten
www.facebook.com/lichtbildidealisten

Workshops in der  
Foto Koch Akademie
www.fotokoch.de/akademie


Weitere Beiträge aus dem Schnappschuss Bewegung

Die Gewinner - Fotowettbewerb Bewegung

Mit dem Thema Bewegung startete der Fotowettbewerb passend zur neuen Ausgabe des Schnappschuss Magazins in eine neue Runde. Das sind die Gewinner!

Jetzt lesen!

Interessante Aktionen

Die besten Kameras für Einsteiger / Anfänger

Die Fotografie ist vielleicht das schönste Hobby! Doch sicherlich gehört die Fotografie nicht zu den günstigsten Hobbies, wir wollen dir mit diesem Ratgeber eine Übersicht schaffen, welche Kameras sich besonders gut für den Einstieg in dieses vielschichtige Hobby eignen.

Jetzt Informieren

Newsletter

Aktuellste Angebote, exklusive Vorteile, Neuheiten, Events, Infos & mehr

Jetzt abonnieren

Demogeräte & Ausstellungsstücke

Schau dir unsere Demogeräte & Ausstellungsstücke an und spare dabei!

Jetzt sparen

Auch interessant

Fototage

21. & 22. Juni | FOTOTAGE XXL Edition

Jetzt noch größer: Besuche das Foto-Event im Rheinland und erlebe spannende Shootings, Fotowalks, Clean & Check sowie einmalige Messe-Deals

Jetzt informieren

Der neue Schnappschuss ist da!

In der neuesten Ausgabe des Schnappschuss' geht es um das Thema "Behind the Scenes"!

Jetzt lesen!

Erster Test des Sony 16-35mm f2,8 GM2 im Vergleich zum 16-35 GM1

Das neue Sony 16-35mm GM2 ist hier und setzt neue Maßstäbe! Es ist leichter, schärfer und sogar noch einmal kompakter als der Vorgänger! Deswegen zeigen wir euch heute den direkten Vergleich der beiden G-Master Objektive und zeigen, ob sich ein Upgrade lohnt!

Jetzt lesen

Kamera Basics #12: Einstieg in die Makrofotografie

Kleine Objekte und Details groß abbilden! Das beschreibt die Makrofotografie schon sehr gut! Doch was genau könnte ein Motiv für diese Art der Fotografie sein? Seifenblasen, Insekten, Blumen, Schneeflocken und vieles mehr, das könnten die Aufnahmen als Motiv beinhalten.

mehr erfahren