
Schnappschuss 69: Going Orange
Aus dem neuen Schnappschuss: "Orange"
All Photos by Joana Kritiotis.
Plötzlich sah ich nur noch orange! Ich möchte euch hier von meiner absoluten Leidenschaft zur Fotografie und des Spiels mit meinen meist nicht professionellen Models erzählen?und warum plötzlich fast alle Shootings orange waren.
von Joana Kritiotis
Ein Portrait-Fotoshooting in meiner Welt muss ein persönliches Erlebnis sein. Es ist wie eine spontane, neue Begegnung, die spannend und real ist. Ein Kennenlernen - denn genau das tun Fotograf und Model in der kurzen Zeit auch. Egal, ob das Fotoshooting im Fotostudio, draußen in der Natur oder im eigenen Zuhause stattfindet. Jedes dieser Erlebnisse ist einzigartig, denn kein Mensch ist wie der andere! Somit sind auch die Energie und die Verbindung immer eine neue, aber gleichermaßen aufregend.
Wenn man auf Zypern, und damit einer Sonneninsel im Mittelmeer, lebt und diese mit den Augen optisch erkundet, wird einem ganz schnell klar, dass Licht und warme Farbtöne das ganze Jahr eine große Präsenz haben. Sie spielen eine sehr bedeutsame Rolle. Jeder Morgen, jeder Mittag, jeder Abend und jede Nacht gibt neue Pigmente wieder und unglaubliche Himmelfarben entstehen, die als pure Inspiration dienen. Meine Kamera ist sehr dankbar für den Input, behaupte ich jetzt mal – und genauso dankbar bin ich als Fotografin und als Mensch auch. Ich bin zwar keine Landschaftsfotografin, die den wunderschönen Sonnenuntergängen und natürlichen Phänomenen hinterherjagt – obwohl ich die Geduld auf den richtigen Zeitpunkt zu warten beeindruckend finde –, aber als Antrieb für die Kreativität nehme ich diese Energie auf jeden Fall immer mit.



In meiner Fotografie geht es um Portraits. Um Portraits und Menschen. Ich suche Gesichter, die ihre Geschichten mit mir teilen möchten und Menschen, die sich mutig mit mir “fallen lassen”, um zu sehen was künstlerisch fotografisch passieren kann. Der Plan ist: Es gibt keinen konkreten Plan! Mit meiner Kamera möchte ich nur diesen einen Moment der Wahrheit im Gesichtsausdruck festhalten und diesen danach als echtes Spiegelbild der Person selbst präsentieren. Denn viele sehen sich selbst auf diese Weise nicht. Viele denken, dass die professionelle Fotografie nur für professionelle Models, für Magazine, Fashion, Werbung, Celebrities und “schöne Menschen” ist.
“Ich bin aber ganz schlecht darin. Total unfotogen.”, bekomme ich kurz vor einem Fotoshooting oft als Warnung zu hören. Daran glaube ich nicht. Das ergibt überhaupt keinen Sinn, denn jeder Mensch hat etwas Einzigartiges zu bieten; sowohl mit seinem Charakter als auch mit seinem Ausdruck. Genau das ist die Schönheit in jedem Portrait. Genau das herauszukitzeln und zu offenbaren ist mein Ziel bei jeder Person, die ich fotografiere. Es braucht nur einen Bruchteil einer Sekunde...einen Klick.
Eine dominante warme Farbe kann als Gedanke im Prozess einer gestalterischen Idee für ein solches Portrait der perfekte Ankerpunkt werden. Genau so ist es auch in meinem Kopf passiert. Bereits vor einem Jahr hatten wir das Thema für diese Schnappschuss Ausgabe bestimmt: Orange. Sobald das Wort orange im Raum stand, konnte ich es bildlich sehen, überall erkennen und sehr stark wahrnehmen. Ich habe das als kreativen Ansporn genommen dazu mehrere Serien zu machen. Alles, was diese Farbe hat, wurde seitdem automatisch mental notiert: Der Wolkenhimmel kurz bevor die Sonne verschwindet. Die knalligen Bojen im Wasser an jedem Strand und im kleinen Hafen. Orangen, Mandarinen, Pfirsiche und Kaktusfrüchte, die am Rande jeder Straße zu sehen sind. Calendulablüten, Kapuzinerkresse und jedes für mich unbekannte Blümchen in den Gärten wurde auf einmal wichtig und interessant. Ich suche meistens die Elemente in der Natur oder in meiner Umgebung. Ich freue mich plötzlich, wenn ein Insekt im Vorbeifliegen im inneren der Flügel diese Farbe hat. Ich überlege, wie verrückt es wäre, wenn ein Pool oder eine Badewanne voll mit Orangen- oder Karottensaft wäre und wo ich mir vielleicht um die hundert Leitkegel besorgen könnte. Kann man sich sowas für einen Tag leihen? Ob kleine oder große (eher nicht so realistische) Ideen: Die Farbe hat mich verfolgt und das tut sie immer noch.
Es muss aber nicht etwas Ungewöhnliches und extrem Verrücktes sein...Es kann auch ein klassischer Studio-Papierhintergrund sein oder eine Folie, die das Lichtspiel mit den Blitzen beeinflusst. Dazu holte ich ein paar Haftnotizen in der passenden Farbe und bin bei einem kurzen Besuch beim Bauern mit etwas Obst der Saison ebenfalls fündig geworden. Es war zufällig Papayazeit und diese haben farblich nicht enttäuscht.
Eine durchsichtige Kunststoffplatte in der Farbe ist mir eines Tages auch “über den Weg gelaufen” – natürlich musste die vom Sperrmüll mitgenommen werden. In diesem “Brainstorming”-Rausch wurden viele Ideen irgendwann klarer und es sammelten sich immer mehr Dinge, die ich bei meinen orangenen Shootings einsetzen wollte.
Das Fotostudio ist wie eine kreative Spielhalle mit dem besten Lieblings-Spielzeug. Es wird ganz einfach gespielt, ausprobiert und gewagt. Auch wenn die ersten Klicks anfangs statischer wirken und manchmal sogar unsicher, weil alles neu ist: Der Körper und die Seele tauen schnell auf. Dabei werden gleichzeitig die Technik und die Lichter getestet, die Verschlusszeit und die Blende gesetzt, der Fokus festgelegt, nochmal gecheckt, ob die Speicherkarte in der Kamera sitzt, die Musik aufgelegt und auf eine gute Lautstärke zum Abtanzen gesetzt. Ein Warm-Up ist für jeden Tänzer und Fotografen immer wichtig. Wenige Minuten später ist die Verbindung da und es entsteht ein wunderschönes kreatives Chaos. Die Lieblingslieder werden nun mitgesungen. Manchmal sogar fast als wäre man live beim Konzert dabei. Alles ist in Bewegung. Sogar die Positionen um die richtige Perspektive und den gewünschten Ausschnitt hinzubekommen werden immer schräger und krummer (und das meine ich wortwörtlich!). Nach einer gewissen Zeit liegen wir flach auf dem Boden oder krabbeln seitlich (und methodisch) unter Tische oder hängen kopfüber auf Stühlen. Der Rücken, die Oberschenkel und die Arme bekommen ein wirkliches Foto-Ausdauertraining in diesem Beruf. Ich hab schon oft hoch oben auf einer Leiter oder einer sehr schmalen Mauer gestanden, obwohl ich eigentlich aufgrund meiner Höhenangst nicht dazu fähig wäre. Füße und Kleidungsstücke werden dabei von manch anderem zur Lebensrettung festgehalten. Diese Person ist oft mein Partner Chris, der mir sehr oft assistiert. Er muss gleichzeitig Lampenstative und Requisiten mitwandern lassen oder einen Teppich und Hintergrund etwas weiter nach rechts, nach links oder nach vorne ziehen. Mal kurz den Auslöser drücken und die Kamera macht das schon - als würde die Foto-Fee ihre Magie anwenden – so einfach ist es nicht. Bei der Serie mit der wunderbaren Marilena (sie ist auch eine erfolgreiche Komikerin und Schauspielerin auf Zypern) hatten wir uns für zwei Stunden verabredet. Am Ende turnten wir bis spät nach Mitternacht, als tatsächlich der dritte Akku aufgegeben hat und alle Speicherkarten voll waren.

“So habe ich mich noch nie gesehen!” Das ist das Feedback, das ich bis jetzt bei jedem einzelnen Fotoshooting bekommen habe und es berührt mich persönlich zutiefst. Dieser Satz ist für mich das perfekte Kompliment und auch das einzige, das ich zu hören bekommen möchte. Es ist genau das, was ich schaffen wollte. Das Gefühl, das die Person über sich in dem Moment entdeckt und das ihrem Selbstbewusstsein einen Boost gibt. Mein Ziel ist immer, die Personen nicht nur zufriedenzustellen und ihnen schöne Bilder als Endprodukt zu liefern, sondern ihnen zu zeigen wer sie auch sind. Dieser frische Blick auf das eigene Ich soll zeigen, wie wichtig und einzigartig jede und jeder ist – es ist die Kraft und die Schönheit Mensch zu sein. Besonders bei dieser rasanten Welt der Medien, der Trends, voll mit lauter Glamour und Glitzer liegt der Fokus falsch...Denn dieser lässt den Selbstwert in vielen Fällen verschwinden. Ein Portrait-Fotoshooting sollte man verlassen und ganz einfach das Gefühl haben: Das war ein einzigartiges Erlebnis.
Ich bin dankbar für das, was ich tuen darf und dass so viele Menschen mich unterstützen. Meine Nachricht am Ende ist immer: „Danke für dein Vertrauen. Jo“
weitere Infos und mehr Werke des Künstlers:
Joana Kritiotis
www.jokritiotis.comInstagram: @jokritiotis