Kamera Basics #19: Tilt Shift Objektive und der Effekt erklärt
Der Tilt Shift Effekt ist für viele Fotografen sicherlich ein alter Schuh, doch ist dieser Effekt sehr interessant zu betrachten, denn er findet sich in vielen Facetten der Fotografie wieder. So ist die Verwendung von Tilt Shift Optiken nicht nur in der Architektur Fotografie zuhause, man findet sie auch in der Videografie und der Produktfotografie.
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Die Geschichte der Tilt und Shift Objektive
Damals waren in der analogen Fotografie noch Fachkameras / Balgenkameras im Einsatz, wo der Balgen bewegt und dadurch der Tilt/Shift ermöglicht wurde. Es ist heute auch noch eine recht kosteneffiziente Methode, mit einem Balgen zu arbeiten. Zu der Zeit der Balgenkameras war das Objektiv teilweise an der Kamera fest verbaut.
Mit der Zeit wurde die Technik in Objektiven verbaut, bei der sich die Linsenelemente verschieben lassen. Verschiedene Marken produzieren diese Objektive mittlerweile vorwiegend im Weitwinkelbereich, da die Optiken am meisten in der Architekturfotografie verwendet werden.
Scheimpflugsche Regel
Wurde von dem Kartografen Theodor Scheimpflug aufgestellt, und zwar im Jahre 1907 unter dem Titel der zugrundeliegenden Arbeit: „Die Herstellung von Karten und Plänen auf photographischen Wege“. Sie besagt, dass „Objektebene, Objektivebene und Filmebene sich in einem [...] gemeinsamen Schnittpunkt (oder besser gesagt) einer gemeinsamen Schnittkante treffen [müssen].“ In einfacheren Worten bedeutet dieser Satz, dass drei Dinge: "Objektebene", "Objektivebene" und "Filmebene"/Schärfeebene an einem bestimmten Punkt oder entlang einer gemeinsamen Linie zusammenkommen müssen.
Die Theorie dieser Regel war bereits vor der Erkenntnis von Theodor Scheimpflug bekannt und von Relevanz bei der Photogrammetrie, die auch noch heute in bestimmten Gebieten modernisiert verwenden.
Das Ganze sollte dazu dienen, mit möglichst wenigen Luftaufnahmen auskommen zu können, um so eine Karte zu erstellen. Diese Fotos wurden mit Standardkameras aufgenommen, so sind die Bilder durch die Distanz bis Unendlich wodurch es galt die Bilder zu entzerren.
Wie funktioniert Tilt Shift? Wie entsteht der Effekt?
Was man unter Tilt Shift versteht ist die mittels Verschiebung der Position der Objektivebene gegenüber der Bildebene. Auf diese Weise können durch den Kameraschwenk bedingte perspektivische Verzerrungen vermieden werden. Innerhalb der 10 Grad, in denen sich die meisten Objektive einstellen lassen, lässt sich von dem Austrittspunkt des letzten Glaselements am Objektiv noch Licht über den gesamten Bildbereich des Sensors / Films transportieren, um das Bild zu belichten.
Shift (verschieben) erklärt
Ist die Höhenverstellung des Objektives. Sie bewirkt die korrekte Darstellung von der Frontfläche des Objektives, wie bspw. einem Hochhaus. Die Shift Funktionalität findet die größte Anwendung in der Architekturfotografie, denn hier finden wir fast immer stürzende Linien durch Gebäude. Physikalisch bedingt entstehen eben Verzerrungen (kissenförmig, tonnenförmig) gleicht dies durch das verschieden der Achse in der Höhe aus.
Tilt (verschwenken) erklärt
Der Tilt lässt die Schärfeebene wandern und rotieren, so dass man ohne ein Bild in den Dutch Angle zu bringen, den Schärfeverlauf beispielsweise diagonal durch das Bild verlaufen zu lassen.
Nimmt man ein Bild aus einem Winkel von oben auf, beispielsweise 45° von oben, lässt sich durch die Tilt Funktion, die Schärfe so verschieben, dass die Schärfe sich auf das untenliegende Objekt verschieben lässt. In unserem nachfolgenden Video verschieben wir die Schärfe auf das Schneidebrett.
Durch das Tilten kommt auch der Miniatureffekt zustande. Hier spielt auch etwas die Psychologie mit, denn wir verbinden diesen Schärfeverlauf des Tilt Shifts mit der Macro Fotografie, wo durch die Nähe zum Objekt ein sehr eindrücklicher und wiedererkennbarer Tiefenschärfeverlauf entsteht.
Optionales Drehen des Tilts am Objektiv
Wenn man die Möglichkeit dazu hat, sein Tilt Shift Objektiv vorne um 90° zu drehen, verschiebt sich durch das Tilten des Objektives die Schärfe nicht mehr in der Horizontalen, sondern fängt an sich in der Vertikalen zu drehen.
Tilt Shift in der Praxis
Wir haben bei den Foto Tagen im November 2023 eine praktische Anwendung der Tilt Shift Funktion für die Produktfotografie im Fujifilm GFX System gezeigt, die Aufzeichnung haben wir hier:
Prominente Anwendungsfälle
Ein Beispiel, das vielleicht der eine oder andere nicht bewusst wahrgenommen hat, ist im Film The Social Network von 2010 zu sehen. In den Szenen rund ums Rudern werden mehrfach Perspektiven eingefangen, in denen mit der Schärfe und dem Miniatureffekt gespielt wurde.
Nennenswerte Tilt-Shift Objektive
Wir als Händler haben über die Jahre einige Objektive verschiedenster Hersteller in unserem Lager gehabt, ein paar besondere Linsen möchten wir hier nachfolgend vorstellen.
Lensbaby Composer Pro II incl. Sweet 50 - Tilt Objektiv
Der Hersteller Lensbaby ist einer der Hersteller, die recht experimentelle Objektive bauen und anbieten. Das Objektiv ist in diesem Fall der Composer Pro II und das Sweet 50, bestimmt die Brennweite und den Look des Bokehs, was es zu einem recht interessanten Objektiv zum Spielen macht.
LAOWA 15mm f/4 Makro 1:1 Shift
Das LAOWA Shift Objektiv bietet nicht nur Weitwinkel, sondern auch eine 1:1 Makro Vergrößerung. Es fehlt zwar die Tilt Funktion, bietet aber beste Voraussetzungen für alle Makrofotografen, die gerne auch sonst auf stürzende Linien verzichten wollen.
LAOWA 15mm f/4,5 Zero-D Shift
An diesem Shift Objektiv für die Architekturfotografie ist der Vorteil, dass diese am Rand noch besonders scharf und Verzeichnungsfrei sind dank einer sehr niedrigen Dispersion.
Fujifilm FUJINON GF 110mm f5.6 Tilt Shift Macro
Dieses für das Fujifilm GFX System entwickelte Teleobjektiv setzt Maßstäbe außerhalb der klassischen Architekturfotografie, denn diese Linse bietet sich auch für die Makrofotografie an und ist vielleicht besonders interessant auch in der Foodfotografie, wenn der Anspruch an außergewöhnliche Aufnahmen besonders groß ist.
Vorteile der Tilt Shift Technologie
Einer der größten Vorteile dieser Art von Objektiven liegt darin, dass ein Beschnitt durch das Anwenden der Korrekturfunktion in der Bildbearbeitungssoftware nicht nötig ist. Damit steht die gesamte Pixelbreite des Sensors zur Verfügung. Dies funktioniert nach dem Trapezkorrekturprinzip. Teilweise führt die Verwendung von Tilt Shift Objektiven dazu, dass weniger chromatische Aberrationen entstehen, da der Winkel des einfallenden Lichts sich verändert.
Alternative Wege als ein Tilt Shift Objektiv
Es gibt verschiedene Wege auch ohne ein teures Tilt-Shift-Objektiv ein ähnliches Ergebnis zu erzielen wie mit einem Objektiv.
Objektivadapter
Mit diesem Adapter lassen sich fast alle Objektive als Tilt Shift Optiken nutzen, doch man verliert in der Regel den Autofokus und ist auf den manuellen Autofokus angewiesen.
Postproduktion / Nachbearbeitung
In der Nachbearbeitung kann, wie vorher schon einmal aufgezählt, je nach Bearbeitungsprogramm die Korrekturfunktion nutzen, in Lightroom zeichnet man dazu entsprechende Linien ein und Lightroom rechnet nachfolgend die Verzerrung aus dem Bild.
Der Miniatureffekt kann auch so nachempfunden werden, denn man kann mit einem linearen Verlauf die Unschärfe in das Bild ziehen und so diesen Effekt erzielen. Es wirkt aber teilweise nicht so realistisch, da die Objektivunschärfe sich anders und weicher verhalten würde. Gerade, wenn reflektierende, leuchtende Objekte in der Unschärfe vorhanden sind.
Mit Adobe Photoshop kann man den Effekt über den Tilt-Shift-Filter nachmachen und ein recht ansehnliches Ergebnis produzieren.
Fazit - Für wen eignet sich Tilt Shift?
Seien wir einmal ehrlich: Die meisten Fotografierenden benötigen das Tilt Shift Objektiv nicht, denn der Preis ist in den meisten Fällen sehr hoch und wenn man es nicht regelmäßig verwendet, dann rentiert sich dieser Kauf fast nicht, da die Technik mittlerweile sehr gut geworden sind. In Anwendungsfällen, wie bei unserem Vortrag zu den Foto Tagen ist es sinnvoll, ein Tilt Shift Objektiv zu verwenden, wenn der Kunde auf maximale Qualität setzt. Spannend ist die Geschichte des Tilt Shift und wie die Technik funktioniert.
Eine kleine Aufgabe für dich:
Probiere mal die Korrektur in deiner Bildbearbeitung an, wenn dir das Thema der Miniatur zusagt, dann macht es Sinn sich durchaus mal ein Tilt Shift Objektiv auszuprobieren.
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