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Im Interview mit Thomas Stelzmann

Für ihr Projekt „Keine Kohle mehr“ holten die Düsseldorfer Fotografen Wolf R. Ussler und Thomas Stelzmann 51 ehemalige Bergleute auf den Boden ihrer einstigen Pütts zurück und setzten sie dort fotografisch in Szene. Jede dieser einzigartigen Schwarz-Weiß-Kompositionen erzählt ein Stück persönlicher Geschichte. Die Arbeiten offenbaren, was das Leben eines jeden Porträtierten geprägt und diesem oft einen Sinn gegeben hat. Fast vier Jahre arbeit investierten die beiden Fotografen in dieses Projekt und ihr Buch "keine Kohle mehr" ist vor Kurzem erschienen.

In diesem Interview fragen wir Thomas Stelzmann nach der Idee, der Vorgehensweise und seinen Erlebnissen während des Projekts.

Jetzt ist endlich euer Buch "Keine Kohle mehr" erschienen. Was erwartet die Leser in dem Bildband? Der Bildband ist ein Destillat aus fast vier Jahren Arbeit, die mein Kollege Wolf Ussler und ich investiert haben.Die insgesamt 51 Motive vereinen jeweils Vergangenheit, Gegenwart und zum Teil auch die Zukunft sowohl der abgebildeten Person als auch des Ortes.Bereits während des Projektes hat sich gezeigt, wie sehr die Stärke der Fotografie, Momente festzuhalten, zum Vorschein tritt, denn der eine oder andere Ort, der im Buch zu sehen ist, existiert bereits nicht mehr. Das gilt leider auch für die Menschen. Den Leser erwartet also eine Mischung aus Menschlichem und Persönlichem in Form der bildlich umgesetzten Ausschnitte aus den Lebensgeschichten, gepaart mit der Historie des Ortes. Ich glaube, dass es das bisher so noch nicht gegeben hat.

„Ich glaube, dass es das bisher so noch nicht gegeben hat.“

Wie kam es zu dem Projekt? Es gab mal die Idee, ursprünglich bis zu 100 Bergleute einfach am ehemaligen Arbeitsplatz zu portraitieren, alle gleich, immer das gleiche Licht. Dann haben wir das Konzept mit der Inszenierung von wichtigen Abschnitten aus der Lebensgeschichte wie eine Folie drüber gelegt und fanden, dass das Hand und Fuß hatte. Nach den ersten paar Shootings haben wir dann die Wunschzahl "100" ganz schnell auf 80, 70 und zuletzt 50 reduziert. Das war nicht zu schaffen, der Aufwand war ja immens. Da wir aber keine Jubiläumszahl im Projekt wollten, haben wir dann noch einen drauf gesetzt und bei 51 Leuten Schluss gemacht.

Wer wirkte bei dem Projekt mit? Ausser den Bergleuten? Da gibt es eine große Zahl von Unterstützern, die maßgeblich hinter den Kulissen tätig waren. Die RAG Montan Immobilien hat die Termine auf ihren Flächen koordiniert und uns eine Begleitung zur Seite gestellt, anderweitig baten wir Unternehmen oder Privatleute um Zutritt. Menschen und Unternehmen, die uns Requisiten und Ausrüstung geliehen haben, gehören ebenfalls dazu. Das sind echt viele, aber wir haben sie alle auf unserer Homepage aufgeführt.

Wie lange hat es gedauert? Allein die Vorplanungen, die sich an die Ideenfindung und das Konzept anschlossen, haben etliche Monate gedauert. Wir mussten ja erst mal ordnen, wen wir wo und wie fotografieren wollten, das setzte auch die Interviews voraus. Es ging auch um Genehmigungen, die wir einholen mussten. Im Januar 2012 hatten wir das erste Shooting, im März 2015 das letzte. Noch während der Fotoarbeiten gab es die Auftaktausstellung der ersten zwanzig Bilder im Landtag.
Die Abschlussstellung kam dann 2015 im Deutschen Bergbaumuseum. Gut und gerne vier Jahre sind so ins Land geflossen, das ist viel Zeit für ein Thema. Die Arbeiten am Buch sind da nicht mit eingerechnet.

Das Bildband über das Fotoprojekt "Keine Kohle mehr" können Sie hier erweben.

Gab es währenddessen interessante Begebenheiten, die euch ganz besonders fasziniert haben? Ja, sicher. Auf der menschlichen Seite ist einiges passiert. Da gab es während der Interviews Tränen, weil Ereignisse aus schwierigen Zeiten wieder hochkamen, da musste man behutsam reagieren. Auch die Rückkehr mancher Bergleute an ihren Arbeitsplatz verursachte sehr emotionale Momente. Aber es gab auch Dinge, die man nicht erklären konnte. Es gab einen Bergmann, der am Abend vor dem Shooting seine Teilnahme an dem Projekt urplötzlich abgesagt hatte. Wir haben nie erfahren, warum. Das war doof, weil alles vorbereitet war und wir für diesen Standort dann jemand anderen brauchten. Eine starke Erfahrung war der mehrmalige Besuch im Bergwerk Auguste-Viktoria, wo wir in über 800 Metern Tiefe eines der Motive aufgenommen haben. Die Ausstellungseröffnung im Landtag war laut Landtag die erfolgreichste seit 30 Jahren, allein während der Nacht der Museen haben 1400 Leute die Ausstellung gesehen. Es gab viele Anekdoten, die einem Stück für Stück einfallen, wenn man einzelne Bilder sieht.

Was möchtet ihr mit dem Projekt vermitteln?

Das Ruhrgebiet als Montanregion war immer ein Schauplatz der erzwungenen Veränderung, damals wie heute. Die Menschen dort waren immer gezwungen zu reagieren. Auch in Zukunft wird sich dort einiges bewegen, der Strukturwandel wird noch sehr lange dauern. Die Veränderung lässt sich unserer Meinung nach nicht darstellen, wenn man nur Industrieruinen fotografiert.

Klar macht das wenig Mühe, aber ob da jetzt noch ein Fördergerüst steht oder ob es 10 Jahre später abgerissen wird, ist unwichtig. Es sind die Menschen mit ihren Geschichten, die das Ruhrgebiet ausmachen, die es geprägt haben. Deren Geschichten werden sehr bald verschwinden, und um die ging es uns, die wollten wir bewahren. Wir wollten ein Bewusstsein für diese Menschen erzeugen.

„Es gab viele Anekdoten, die einem Stück für Stück einfallen, wenn man einzelne Bilder sieht.“

Wie seid ihr vorgegangen?

In ganz kleinen Schritten. Nachdem die Idee feststand, mussten wir die Leute finden. Das gelang über Umwege, denn aus Datenschutzgründen konnte die RAG uns keinen Kontakt ihrer Mitarbeiter nennen.
Dann haben wir den Ort aufgesucht, an dem die Zeche stand. Das war nicht immer einfach, nichts bleibt ja so, wie es ist. Wo die Zechen standen, ist heute oft Wald, Gestrüpp, Wohngebiete, Gewerbe. Google Earth war ein starkes Werkzeug, ebenso Webseiten von Zechen-Fans. Anschließend haben wir das Interview gemacht, daraus eine Idee herausfiltriert und diese dann in einem weiteren Termin umgesetzt. Für jedes Foto sind wir also durchschnittlich dreimal ins Ruhrgebiet gefahren, plus die Fahrten für Requisiten, Ausrüstung etc. Hin und wieder konnten wir aber auch zwei Interviews und Fototermine zusammenlegen.

Josef Penkalla aus "Keine Kohle mehr"

Worauf habt ihr bei den Fotografien besonderen Wert gelegt?

Auf Reduktion und Authentizität. Trotz der großen Aufgabe, unterschiedliche Aspekte von Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft sowohl der Person als auch des Ortes in einem Bild zusammenzuführen, durfte man sich nicht verzetteln. "Weglassen" war ein wichtiges Rezept. Zudem mussten die Fotos echt sein, weil sie einen historischen Anspruch hatten. Herumfuhrwerken mit Photoshop gab es bis auf die klassische Dunkelkammerarbeit nicht, das waren wir den Motiven schuldig

Gab es auch Schwierigkeiten oder lief alles glatt?

Wir hatten 51 Fototermine, da geht nie alles glatt, egal, wie gut und vorausschauend man plant. Manchmal sind das wirklich ganz doofe Sachen, die dann passieren. Wir hatten eine Modellreihe von Studioblitzen, die partout nicht an unserem (teuren) Stromaggregat zu betreiben waren, während andere Modelle dieses Herstellers problemlos funktionierten. Wer soll sowas wissen, und vor allem: Wer baut sowas? Wir haben dann 15 Jahre alte Blitze genommen, ohne digitale Technik, die funktionierten tadellos. Dann gab es mal eine Kamera, die im Service ein Firmwareupdate bekommen hatte und keine Aufsteckblitze mehr steuern konnte. Es gingen Requisiten schon vor dem Shooting beim Einladen ins Auto kaputt. Solche Dinge. Es ist aber nichts passiert, was wir nicht „weg improvisieren“ konnten.
Die wirklich komplizierten Shootings mit viel Technik und Aufwand haben alle problemlos funktioniert.
Gute Planung zahlt sich aus

Was erwartet ihr euch von dem Projekt/Buch?

Zum einen wollen wir ein Bewusstsein dafür schaffen, wie sich "der Pott" ändert. Der Strukturwandel ist brutal, beinahe rücksichtslos, aber nicht zu stoppen. Gewohntes verschwindet und wird im besten Falle durch Neues ersetzt. Ob das gut oder schlecht ist, muss jeder für sich entscheiden. Zum anderen wollen wir als Fotografen deutliche Spuren hinterlassen.

Sich vier Jahre mit einem Thema auseinander zu setzen und ein Buch herauszubringen, hat eine andere Qualität als eine ausschließliche Onlinepräsentation. Wir sprechen bibliophile Menschen mit einem guten Produkt an, mit Bildern und Geschichten, für die man keinen Computer braucht, die auch in 20 Jahren noch Bestand haben.

Wilhelm Tax aus "Keine Kohle mehr"

Was möchtet ihr anderen Fotografen bei eigenen Projekten mit auf den Weg geben?

Ich kann nur für mich sprechen, aber ich denke, dass Projekte und größere Serien weitaus mehr Substanz haben als Bilder in sozialen Netzwerken, die man nach ein paar Sekunden wieder vergessen hat. Dieses füttern der Onlinegemeinschaft wegen ein paar Likes ist das moderne Tamagotchi. Bilder und die Story dahinter müssen wirklich gesehen werden, sie müssen aus der Masse herausstechen, man muss sie zu den Leuten bringen. "Macht Dinge, die nicht einfach sind" wäre eine Botschaft an die Fotografinnen und Fotografen da draußen. Die Welt ist voller Oberflächlichkeit, davon braucht man nicht noch mehr. Macht etwas, was bleibt, und bringt es an Wände oder auf Papier. Denn da wird es viele Jahre bleiben.

Was sind eure nächsten Projekte? Zur Zeit haben wir keine Projekte in Planung, obwohl es durchaus ein paar Ideen gibt. Das muss reifen. Im Moment haben wir auch wieder jeder eigene Projekte und Arbeiten. Ich würde aber jederzeit wieder mit Wolf ein Projekt machen.

Macht etwas, was bleibt, und bringt es an Wände oder auf Papier. Denn da wird es viele Jahre bleiben.

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