Protestbewegung
Aufstände, Revolutionen, Demonstrationen – Menschen schließen sich seit Jahrhunderten zusammen, um für ihre Sache zu kämpfen. Auch heutzutage berichten die Nachrichten fast täglich von verschiedenen Protestbewegungen, egal ob regional wie in Hongkong oder international wie Black Lives Matter und Fridays for Future. Der im Ruhrgebiet geborene und im Rheinland aufgewachsene Fotograf Oliver Feldhaus konzentriert sich auf die Proteste in seiner Wahlheimat Berlin und erzählt uns von seiner Passion.
Ich würde mich nicht als Bewegungsfotograf bezeichnen. Aber die Fotos eines Protestes standen tatsächlich für mich am Anfang, und das Thema hat mich seither stetig beschäftigt. 2013 kam ich als teilnehmender Beobachter des Kampfes von Geflüchteten für ihre Rechte zur Fotografie. Seither begleite ich als Fotograf insbesondere soziale Bewegungen. Meine fotografische Heimat hatte ich daher auch schnell beim traditionsreichen Kreuzberger Umbruch Bildarchiv gefunden. Das Umbruch Bildarchiv wurde 1988 gegründet und beherbergt mittlerweile einen faszinierenden zeitgeschichtlichen Schatz von mehr als 100.000 Fotos zu sozialen, kulturellen und politischen Brennpunkten.
Ich habe nicht den Anspruch, ein objektiver, neutraler Beobachter zu sein. Ich bin ein politischer Mensch, der sich mit Gesellschaft und die sie prägenden Strukturen auseinandersetzt. Was und wie ich fotografiere, hat immer mit mir zu tun. Ich gehe tatsächlich sehr subjektiv und persönlich ans Werk. Neugier, Wut, Freude oder Solidarität sind durchaus Triebfedern dafür, warum ich etwas fotografieren möchte. Und Proteste geben diesen Gefühlen, negativen wie guten, häufig einen Ausdruck.
"Neugier, Wut, Freude oder Solidarität sind durchaus Triebfedern dafür, warum ich etwas fotografieren möchte."
Ich möchte mit meinen Bildern zeigen, was ich gesehen und wie ich es gesehen, erlebt und empfunden habe. Dabei bin ich nicht objektiv im Sinne von Neutralität, aber ich schaffe Transparenz, persönliche Zeugenschaft über das, was geschehen ist.
So war ein Gefühl der Empörung auch tatsächlich der auslösende Moment, der mich überhaupt zum Fotografieren brachte. Als 2013 Geflüchtete vor dem Brandenburger Tor mit einem Hungerstreik auf ihre menschenunwürdige Situation in den Lagern aufmerksam machten, erlebte ich mehrfach, wie diese in unbeobachtet geglaubten Momenten von Polizeibeamten rassistisch und brutal schikaniert wurden. Ich fotografierte dies damals mit einer einfachen kleinen Kompaktkamera. Als ich die Fotos dann später den Geflüchteten, Unterstützer*innen, Journalist*innen und Politiker*innen zeigte, merkte ich schnell, welche ungeheure Kraft Bilder entfalten und was sie bewirken können. Ich habe gelernt, dass Bilder für den Protest eine eigene Bedeutung und Funktion haben. Die Geflüchteten fühlten sich gesehen und in ihrer Not nicht mehr allein, die Unterstützer nutzten sie für ihre Solidaritätsarbeit, Journalisten informierten die Öffentlichkeit zu den Ereignissen, und in der Politik wurde die Aktion schließlich zur Kenntnis genommen. Seitdem habe ich damit weiter gemacht.
Ich gehe bei meiner Fotografie wenig technisch und konzeptionell vor. Das sind Defizite, an denen ich arbeite. Aber auch hier kann ich schlecht aus meiner Haut. Meine Stilmittel sind Spontanität und Empathie. Ich arbeite schnell und dabei technisch hinlänglich unsauber. Ich begebe mich in eine Situation, weil sie mich interessiert und in irgendeiner Form berührt. Ich beobachte, was passiert. Im besten Fall lasse ich mich mitreißen und warte einfach auf die Bilder, die kommen, auf den Moment, um auf den Auslöser zu drücken. Gerne bin ich bei einem Ereignis mittendrin, ganz nah dran. Auch hier hat die Rolle als teilnehmender Beobachter für mich etwas sehr Subjektives und Emotionales. Mittendrin sein und von außen draufschauen, das klingt zunächst paradox. Aber das erlebe ich fast körperlich, wenn ich mich als Element eines Momentes mittreiben lassen kann, um zugleich von oben oder von außen auf das ganze Geschehen zu schauen.
Als ich anfing Sozial- und Protestbewegungen zu fotografieren, habe ich lange Serien gemacht. Ich stellte aber bald fest, dass mich diese Art des Dokumentierens langweilte. Die akribische Auflistung von Transparenten, Plakaten, Akteuren ist nicht meine Sache. Vielleicht auch aus Bequemlichkeit bemühe ich mich seither vielmehr darum, mit nur einigen wenigen Bilder den Eindruck zu schildern, den eine Aktion, ein Protest, eine Bewegung bei mir hinterlassen hat. Glücklich gehe ich am Abend nach Hause, wenn mir ein Bild gelungen ist, in welchem das Ereignis aus meiner Sicht komplett wiedergegeben ist. Dieser Moment kann im Gesichtsausdruck eines Menschen liegen oder im beiläufigen Augenblick am Rande eines Tumultes. Diese Unvorhersehbarkeit und potenziell ständige Möglichkeit des richtigen Moments ist für mich das Aufregende und Faszinierende der Fotografie.
"Ich habe gelernt, dass Bilder für den Protest eine eigene Bedeutung und Funktion haben."
Und ehrlich gesagt sind am Ende die schönsten Bilder häufig die, die mit dem ursprünglichen Ereignis gar nichts zu tun haben. Sondern die, die ich zufällig am Rande und auf dem Heimweg nach Feierabend gemacht habe. Das erfolgsversprechendste Stilmittel für gute Fotos heißt für mich darum auch einfach: immer in Bewegung bleiben, immer eine Kamera um die Schulter hängen haben, um immer auf den Auslöser drücken zu können, wenn das Foto vorbeikvommt und der Moment Hallo sagt. Glücklich bin ich auch über die Tatsache, dass zahlreiche meiner Bilder eine Art Eigenleben entwickeln. Dann wenn sie über die Veröffentlichung in Zeitungen, Zeitschriften, sozialen Medien hinaus über Plakate, Bücher, Kunstausstellungen, Theater, Museen oder Bildungsmaterialen ihren Weg wieder zurück in die Gesellschaft, in die politischen und sozialen Bewegungen finden.
Ein gutes Ende hat die Arbeit gefunden, wenn ich den Protest ins Bild gesetzt habe, der Protest mit Bildern fortgeführt wurde und es schließlich wieder die Bilder selbst sind, die protestieren.
Weitere Infos und mehr Werke des Künstlers:
Oliver Feldhaus
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