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Silber, Glas und Zeit

Silber, Glas und Zeit

Unikate statt „digitales Macht-ja-jeder“ Vor rund einem Jahr hat uns Thomas Stelzmann für den Schnappschuss No. 55 in einem interessanten Artikel in die Welt der Ambrotypie entführt; einer Welt die sich wie eine Zeitreise anfühlt. Wie bereits damals angekündigt, war das ganze Projekt noch lange nicht am Ziel angelangt, denn man war sich sicher: Da geht noch was... von Thomas Stelzmann

Nummer Drei

„Nummer Drei“

12. April 2016, Wuppertal Barmen, in einer ehemaligen Bandweberei. Die Webstühle stehen schon lange still, aber in den Räumen passiert wieder etwas.
„Nummer Drei“ ist nämlich gerade eben fertig geworden und muss nun trocknen.
„Nummer Drei“ ist eine Glasplatte, hauchdünn ist sie, nur etwa 2 mm dick.
Einfaches Rahmenglas, eigentlich komplett unbesonders.
Oder doch nicht…?
Nicht ganz.
Das Besondere an „Nummer Drei“ ist das blassgelbe Abbild einer jungen Frau, welches auf ihr zu sehen ist. Es ist nicht aufgedruckt oder -geklebt, es ist auf der Platte entstanden.
Die junge Frau ist Roarie Yum, Freelance Model aus Tampa (Florida), und „Nummer Drei“ ist eine sogenannte Ambrotypie und mit ihren 100x70 cm Größe vermutlich eine der größten zeitgenössischen Ambrotypien in Europa.
Es gibt noch ein paar weitere Platten dieser Größe in Europa, und vermutlich stammen sie zumindest im Moment alle aus unserem Fotostudio „gebäude.1 fotografie“ in Wuppertal.

„Unsterblich“

1850 wurde das sogenannte „wet-plate“-Verfahren erfunden, welches hierzulande etwas sperrig, aber präziser „Kollodiumnassplattenverfahren“ heisst. Es sollte ein preisgünstigerer und für den Fotografen gesünderer Ersatz für die damals übliche Daguerrotypie sein. Diese brauchte nicht nur teure, versilberte Kupferplatten, sie erforderte auch einen Umgang mit Iod-, Brom-, Chlor- und Quecksilberdämpfen: Nicht gerade ein Traumjob für den Fotografen.

Beim „wet-plate“-Verfahren wird das „Filmmaterial“ erst kurz vor der Aufnahme hergestellt, man kann es nicht auf Vorrat produzieren, wenn man gerade die Zeit dafür hätte.
Die Trägerplatte aus einfachem Glas (üblich sind Größen bis etwa 18x24 cm) wird hierzu gleichmäßig mit Kollodium benetzt, einer gelblich-rötlichen Mischung aus Ether, Alkohol, Cellulosenitrat („Schießbaumwolle“) sowie Brom- und Iodsalzen. Der Ether verdampft dabei schnell und produziert den typischen „Arztgeruch“. Ganz ungefährlich ist das nicht, denn Etherdämpfe sind zwar nicht giftig, aber sie wirken betäubend und sind vor allem hochexplosiv.

Es bildet sich eine Art Gel auf der Platte und ab nun läuft auch die Uhr: Mehr als 10 Minuten sollten nicht vergehen bis zum Entwickeln, abhängig von Umgebungstemperatur und Luftfeuchtigkeit. Die Platte darf während dieser ganzen Zeit nämlich nicht trocken werden: „wet plate“ eben. Im nächsten Schritt, dem Tauchen der noch feuchten Platte in Silbernitratlösung, bilden sich innerhalb von ein paar Minuten Silbersalze in der haardünnen Kollodiumschicht: Die Platte wird lichtempfindlich. Das geschieht unter Rotlicht und mit Vorsicht: Silbernitrat ist ätzend und man hat ja nur zwei Augen, Schutzbrillen sind hier zwingend erforderlich. Die Lichtempfindlichkeit der Platte, falls man das so nennen kann, liegt nun im Normalfall bei etwa ISO 0,5 (ja, Sie haben richtig gelesen), bei älterem Kollodium sogar noch weniger. Sie wird aus dem Bad gezogen, in einer Kassette lichtgeschützt in die Kamera eingesetzt und dort belichtet. Das Verfahren benötigt blaues und UV-Licht, um zu funktionieren, unter Glühlampenlicht hat man irgendwann nur eine trockene, inaktive Platte, aber kein Bild.

Zurück in der Dunkelkammer wird die Platte entwickelt und anschließend (dann wieder im Hellen) fixiert. Hier werden die nicht belichteten Silberverbindungen ausgewaschen und das Bild langsam sichtbar. Es folgen noch Wässerung, Trockung und später eine luftdichte Versiegelung. Die muss sein, denn man hat es mit elementarem Silber zu tun, welches bei Kontakt mit Luftsauerstoff allmählich schwarz wird, Sie kennen das von Omas gutem Silberbesteck. Das Bild wäre nach ein paar Jahren verschwunden und die ganze Arbeit für die Katz. Es entsteht technisch ein blassgelbes Negativ, welches vor einem schwarzen Hintergrund aber als „normales Bild“ erscheint: eine Ambrotypie. Jede Platte ist ein absolutes Unikat, welches man nicht vervielfältigen kann. Es gibt nur dieses eine Bild, dieses eine Stück fotografische Wahrheit, das Gegenteil vom „digitalen Macht-ja-jeder“.

In der Bezeichnung „Ambrotypie“ steckt übrigens das griechische Wort „ambrotos“, welches „unsterblich“ bedeutet. Das passt gut, denn wenn alles richtig gemacht wurde, verblassen diese Bilder nicht, sie halten Jahrzehnte bis vermutlich Jahrhunderte. Es existieren immer noch Bilder, die in der Zeit um 1850 entstanden sind.

Auf dem Weg zum Meter

Bis wir Platten in der Größe von 100x70 cm machen konnten, war es ein langer Weg mit vielen Schwierigkeiten und zunächst „kleineren“ Platten.
Den Beschluss, es zu versuchen, fassten wir erst im September 2014, als wir für unseren Tag der offenen Tür im Studio eine wet-plate-Vorführung planten.
Die aufkommende Frage, wie groß man diese Platten eigentlich machen konnte, haben wir drei Monate später beantwortet: „Mindestens 70x50 cm.“ So groß war unsere erste große Platte.
Platten in dieser Größe sind in der Szene selten und werden erfurchtsvoll „Mammutplatten“ genannt. Selten sind sie deshalb, weil man eine Kamera braucht, die in der Lage ist, eine solche Platte zu beinhalten, und vor allem, weil man ein Objektiv braucht, welches ein Bild in mindestens dieser Größe erzeugen kann (Bildkreis). Solche Linsen sind selten, und wenn sie angeboten werden, hat man keine Wahl, ob man sie kaufen soll oder nicht: Man MUSS, wenn es weitergehen soll.

Die Kamera bauten wir uns kurzerhand selbst: Ein 3x3 m-Partyzelt, mit Silofolie aus der Landwirtschaft und Kilometern von Gaffa Tape lichtdicht gemacht, diente als begehbare camera obscura inklusive Dunkelkammer.
Das Objektiv, ein Carl-Zeiss-Jena aus den 1930ern mit 750 mm Brennweite, warf das Bild auf dem Kopf stehend und seitenverkehrt auf einen fahrbaren Plattenhalter mit Mattscheibe. Ihn konnte man vor- und zurückfahren, zum Fokussieren. Erst kurz vor der Aufnahme wurde die Mattscheibe abgenommen und durch die Nassplatte aus dem Silberbad ersetzt, in der Hoffung, dass sich das Motiv nicht aus dem Schärfebereich von unter einem Zentimeter herausbewegt hat.
Nach etwa 12 – 22 Sekunden Belichtungszeit war es soweit, das Bild war belichtet. Die Platte konnte abgenommen und in der Kamera unter Rotlicht mit Entwickler übergossen werden. Sobald die Mitteltöne sichtbar wurden, stoppte man den Prozess mit Wasser und konnte die Platte im Nebenraum in ein großes Fixierbad legen.

In dieser Kamera gelangen uns im Juni 2015 die Produktion dreier Platten in einer Größe von 100x70cm. Sie waren von schlechter Qualität und existieren auch nicht mehr. Aber sie waren der Beweis dafür, dass wir in der Lage waren, überhaupt Platten in dieser Größe zu machen: Sie waren wie einst die 70x50cm-Platten ein weiterer Anfang.

Das Kamerazelt in nun schon seit über einem Jahr in Rente. In unseren neuen Studioräumen in Wuppertal-Barmen haben wir eine camera obscura mit festen Wänden auf einer Grundfläche von 7x8 m und einer Deckenhöhe von knapp 4m errichtet.

Alles passiert nun komplett in dieser Kamera: Von der Lagerung der Glasscheiben über das Reinigen, das Fotografieren und natürlich das Versiegeln.

Zur Ausrüstung der Kamera gehört neben einem neuen höhenverstellbaren Objektiv (1200 mm, f11) auch eine leistungsfähige Lüftungsanlage gegen die Etherdämpfe und ein eigener Wasseranschluss. Und was noch viel wichtiger ist: Es ist die vermutlich einzige Kamera auf der Welt mit eigener Kaffeemaschine!

In dieser Umgebung sind nun schon einige 100x70 cm-Platten entstanden. Nicht alle sind sehr gut, aber einige eben doch. Das Verfahren mit all seinen chemischen und technischen Fallstricken ist kompliziert und bietet mannigfaltige Möglichkeiten, Fehler zu machen.

Vielleicht kann man es nie zur Gänze beherrschen.

Wer sich die bisherigen Ergebnisse unserer Bemühungen anschauen will, hat dieses Jahr ab dem 14.09.2017 die Gelegenheit dazu.

In der „Alten Pumpstation“ in Haan werden wir während einer Gemeinschaftsausstellung mit einer Düsseldorfer Künstlerin die vermutlich größten zeitgenössischen Ambrotypien in Europa präsentieren. Dazu werden wir zeitnah auf unserer Webseite gebaeude1.de und auf der eigens eingerichteten Seite ambroteam.com informieren.

Nach der Ausstellung werden wir weitere Tests machen, denn die Antwort auf die Frage, wie groß man Ambrotypien eigentlich machen kann, lautet mit Sicherheit nicht 100x70 cm…

Bereits in unserer Schwarz-Weiß-Ausgabe des Schnappschuss' (No. 55) vom Mai 2016 berichtete Thomas Stelzmann über das Thema Ambrotypie. Ab Seite 32 können Sie den damaligen Stand lesen. Zur Ausgabe als PDF


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