The Power Of Dreams
aus dem aktuellen Schnappschuss No. 60
Nordkorea ist das wohl mit Abstand geheimnisvollste Land der Erde. Kaum jemand hat den abgeschotteten Staat besucht oder würde das überhaupt in Erwägung ziehen. Immer wieder hört man von Reisegruppen, denen in strikt durchgeplanten Reiserouten ein inszeniertes Bild vorgespielt wird. Die Fotografin Xiomara Bender ist bereits sieben Mal in das Land von Kim Jong-un gereist und schafft es hinter die Fassade zu schauen. Ihre beeindruckenden Fotos zeigt sie unter anderem in ihrem Buch „Nordkorea - The Power of Dreams“ sowie in einer aktuellen Ausstellung in der Hamburger Galerie Roschlaub. In unserem Interview berichtet sie von ihren Erlebnissen.
Xiomara Bender im Interview mit Daniel Krug
1. Was macht deiner Meinung nach das echte Nordkorea aus?
Es ist das letzte Land seiner Art und wie jedes Land auf der Welt hat es eine Geschichte, die es einst entstehen
ließ und zu dem gemacht hat, was es heute ist. Viele verschiedene Akteure waren daran beteiligt und sind es auch heute noch. Man muss die Geschichte kennen, um es zu verstehen. Auf mich strahlt es eine unglaubliche Ruhe und Kraft aus. Es ist eine Zeitreise zurück in vielleicht ein China der 80er-Jahre. Die Landschaft ist beeindruckend schön, überall wuseln Menschen geschäftig von A nach B, jeder geht irgendeiner Beschäftigung nach und sie scheinen nicht müde zu werden. Sie strotzen vor Stolz und Würde in der Stadt sowie auf dem Land.
Ich denke das echte Nordkorea, welches wir in seiner „Andersartigkeit“ im Westen immer wieder in Frage stellen, beginnt ganz langsam zu leuchten. Nordkorea ist heute kein Hungerstaat mehr, das Land wäre durchaus zu Reformen bereit, welche ich in den letzten sieben Jahren erkennen konnte. „Wandel durch Annäherung auf Augenhöhe“, so nannte Willy Brandt einst seine Ost-Politik … und gerade wir Deutschen sollten uns meiner Meinung nach der eigenen historischen Unzulänglichkeit bewusst sein. Immunisierung gegen Verführung verlangt damit von uns aufrichtige Zuwendung, nicht belehrende Arroganz. Nordkorea ist das, was es ist: ein Land mit fast 26 Millionen Menschen, die, genau wie wir, ihr Leben leben wollen.
2. Also hat sich Nordkorea im Laufe deiner Besuche verändert?
Oh ja! Als ich 2011 das erste Mal dieses Land besuchte, traf ich in Teilen auf ein verängstigtes und schüchternes Volk. Auf den Straßen befanden sich kaum Menschen und wenn dann mal jemand auftauchte, waren sie grau in grau angezogen. Heute ist alles ziemlich bunt, die Kleidung und auch die Häuserfassaden. Die Frau zieht sich individueller an, Farben, Hüte, hochhackige Schuhe. Es gibt unterdessen viele Kioske und Einkaufsläden am Straßenrand. Das alles habe ich vor acht Jahren nicht gesehen. Auch die Straßen füllen sich mitAutos. Seit drei Jahren gibt es nun viele Taxen, die durch die Stadt fahren. Auf dem Land findet der Prozess natürlich deutlich langsamer statt. Große Teile Nordkoreas sind ärmlich, aber nicht so arm wie ich es aus Brasilien, Indien, Afrika oder Osteuropa kenne. Es ist eine Bauern- und Arbeitergesellschaft, die sich innerhalb ihres Systems organisiert hat und mit harter Arbeit auf den Feldern ihr Überleben sichern muss. Wir könnten wirklich etwas verändern, indem wir genau das Gegenteil tun und die Sanktionen lockern. Diese gibt es seit 20 Jahren und sie führen zu nichts. Wir müssen radikal umdenken, ja Nordkorea als Problem anerkennen, aber dann nach wirklichen und aufrichtigen Lösungen suchen. Was ich sagen kann ist, dass Kim Jong-un derzeit eine erstaunliche Modernisierung des Landes betreibt, eine ganz behutsame Öffnung, die wir so lange nicht mehr beobachten konnten. Die Fotografin besucht Nordkorea nun seit 2011 Seit ca. zehn Jahren befindet sich das Land in einer sich stetig entwickelnden Marktwirtschaft. Damit werden die Nordkoreaner ganz langsam wirtschaftlich unabhängiger vom Staat. Es werden neue Kommunikationskanäle entwickelt, die mit dem Staat gar nichts mehr zu tun haben, sie werden selbstbewusster. Es gibt unterdessen riesige Einkommensunterschiede in dem Land, die eine Gesellschaft, die so auf Gleichheit aufgebaut ist, innerlich zerreißt und plötzlich im Widerspruch zur Ideologie steht. Das zusammenzubringen wird die große Herausforderung und Gratwanderung sein, die die Menschen vor sich haben.
3. Wie schaffst du es das wahre Nordkorea abzubilden?
Ich besuche seit 2011 dieses Land und habe nach nunmehr sieben Reisen vor allem eine Entwicklung begleitet und gesehen, welche das Land spürbar seit der Machtübernahme durch Kim Jong-un verändert hat. Als Fotografin musste ich mir die Frage stellen, wie sich die mir auferlegte Pflicht, eine Unvoreingenommenheit des Betrachters zu ermöglichen, zu der mit einem totalitären Staat untrennbar verbundenen Gefahr verhält, aufgrund staatlicher Restriktionen zum unfreiwilligen Transporteur propagandistischer Botschaften zu werden. Die vom Regime sowie den hiesigen Medien dargestellte Wirklichkeit entspricht aber nicht der Realität. Diese so weit es möglich ist abzubilden, muss der Anspruch aus Verantwortung gegenüber dem Betrachter sein. Die vorliegenden Bilder versuchen sich an einer Antwort dazu. Mir geht es darum dem Betrachter in seinem Kopf ein neues Bild kraft eigener Interpretation entstehen zu lassen und den Anreiz zu geben, sich für das Thema zu sensibilisieren. Aus Freiräumen, die sie sich mit unaufgeregter Beharrlichkeit schaffen, könnte eines Tages Freiheit werden. Auch hier gilt, Bilder zeigen so viel mehr als 1.000 Worte es beschreiben könnten. Es geht mir darum durch meine Kamera Kenntnis zu vermitteln, wo Unkenntnis Raum für Vorurteile und Ängste schafft.
4. Was möchtest du mit deinen Bildern zeigen?
Bei meinem Buch „Nordkorea - The Power of Dreams“ war es mir wichtig mit den Fotografien das Maß an Nähe zu den in ihrem Alltag portraitierten Menschen zu vermitteln, welche bei den Betrachtern von Empathie getragene Neugierde wecken. Die Bilder sollen inspirieren, sich auf das Fremde einzulassen und motivieren, die interpretierende Auseinandersetzung mit den Fotos zu wagen, um ein eigenes Bild entstehen zu lassen: Der Schritt aus dem Bild und über das Bild hinaus. Je undurchsichtiger die Welt ist, desto größer ist die Neigung zur Simplifizierung. Um in den Turbulenzen der heutigen Medienflut an Bildern die eigene Orientierung nicht zu verlieren, wird zu gerne das für wahr gehalten, was in der Kulisse seiner Überzeugungen, Erwartungen, Vorurteile und Wünsche gefangene Rezipient für wahr halten will.Ich wollte die Menschen jenseits der uniformierten Maskerade finden, die Dramaturgie staatlicher Inszenierung durchbrechen, um mit meinen Bildern gleichsam die hiesige Arroganz und Ignoranz gegenüber einem Land - nicht System - zu zerstören, welches eben mehr ist als „Baby-Diktator“ und Atomwaffenprogramm. Ich möchte mit meiner Arbeit und meinen Bildern ermutigen in das Land zu reisen und dadurch Wandel, auch in den Köpfen der Menschen vor Ort, zu forcieren.
weitere Infos und mehr Werke der Künstlerin: Xiomara Bender xiomara-bender.com Instagram:@xiomarabenderphotographer
Blick in den Schnappschuss
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